Rezension: Wenn du mich sehen könntest.

 

W E N N  D U  M I C H  S E H E N  K Ö N N T E S T 

Jessica Winter

Der sechsundzwanzigjährige Nate Foster kennt beide Seiten der Medaille. In seiner Zeit als Feuerwehrmann hat er etliche Leben gerettet. Er kennt aber auch jedes Detail der Gesichter jener Menschen, die er verloren hat. Und er schwört sich, es nie wieder soweit kommen zu lassen. Nate glaubt nicht mehr daran, noch einmal mehr zu sehen als den tristen Grauton, der seitdem seinen Alltag beherrscht. Die Bekanntschaft mit der sonnigen und auf den ersten Blick sorglosen Lexi Davis stellt Nates Versuche, seine Schutzmauern zu wahren jedoch in mehr als einer Hinsicht auf den Kopf. Nie hätte er es für möglich gehalten, sein Leben wieder in Farbe zu sehen. Und nie hätte er gedacht, dass sich seine Vergangenheit wiederholen könnte.


 
Miss Winter hatte mich bereits mit ihren ersten beiden Romanen "Bis du wieder atmen kannst" und "Solange du bleibst" verzückt, wenn auch die Thematik recht ernst und erdrückend wirkte. Demnach war ich sehr gespannt auf weitere literarische Geniestreiche ihrerseits. Nun wurde ich endlich belohnt, mit einer ganz wundervollen Liebesgeschichte, die bei weitem leichter wirkte, als ihre Vorgänger.

Der Titel ist wirklich wunderbar getroffen, was man natürlich erst mitbekommt, wenn man das Buch gelesen hat. Mehr kann ich diesbezüglich auch nicht sagen, ich will nicht schon wieder spoilern :D

Die Geschichte erzählt auf ganz wunderbare Weise vom ehemaligen Feuerwehrmann Nate, der sein Leben als Held aufgab, um Anwalt zu werden. Er studiert Jura und arbeitet nebenbei in einer gewichtigen Kanzlei. Als er bis spät in den Abend hinein eine wichtige Hausarbeit für ein Seminar am Computer schreibt, scheint dieser plötzlich abzustürzen und Pop-Ups öffnen sich am laufenden Band. Um seine Seminararbeit retten zu können, ruft er kurzerhand bei der Computer-Help-Line der Uni an und trifft damit unverhofft nicht nur auf seine Retterin, sondern auch auf die charmante Lexi, die innerhalb weniger Minuten verschiedene Persönlichkeiten an den Tag legt. Weder die aufsässige Lexi, noch die seriöse Lexi verschwinden aus seinen Gedanken, selbst als er längst auflegte. Und so beginnt eine Freundschaft, die einen steinigen Weg beschreitet, aber Beide ins Leben zurück bringt.

Schon der erste Dialog zwischen beiden Hauptprotagonisten zeigt deutlich mehr Humor und Leichtigkeit, als die Bücher von Miss Winter zuvor. Charmante Wortwechsel, Sarkasmus und Spritzigkeit erheitern das Gemüt. Doch wird einem schnell bewusst, dass sich dahinter auch bewegende Geschichten verstecken. Denn oftmals hilft uns Humor wahre Beweggründe zu verschleiern. Dennoch kann ich sagen, dass sich dieses Buch weniger dramatisch anfühlt, als die Bücher zuvor und das gefiel mir. Ich mag Dramatik, aber nur bis zu einer gewissen Grenze. Ich möchte ein Buch genießen können, der Dramatik meines Lebens entfliehen können, statt eine Geschichte zu lesen, die schwer über meinem Gemüt hängt, wie graue Wolken. 

Die Geschichte erzählt von Menschen, die eine schwerwiegende Bürde mit sich tragen und seit jeher versuchen, diese zu verdrängen. Niemand der Beteiligten setzt sich mit dem auseinander, was ihnen wiederfahren ist. Und es scheint, dass sie dies erst in Betracht ziehen, als alle aufeinander treffen. Jeder für sich allein ergreift die Flucht, doch gemeinsam gehen sie kleine Schritte nach vorn. So unterschiedlich ihre Charaktere auch sind, sie haben eines gemeinsam: ihre Vergangenheit, die ihre Gegenwart und Zukunft belasten. Ja sicher, man kennt viele Bücher dieser Art: die Protagonisten verstecken ihre schlimme Vergangenheit und arbeiten die Geschehnisse im Laufe der Geschichte auf. Aber ganz ehrlich, dieses Konzept funktioniert. Denn im Grunde beschreibt sie das Leben eines jeden Menschen. Und genau deshalb, kommt es hierbei vor allem auf die Umsetzung der Geschichte an: wirkt sie authentisch? Kann man sich damit identifizieren? Kann man sich in die Protagonisten hineinversetzen, ihre Handlungen und Gedanken nachvollziehen? Ich selbst kann diese Fragen in Bezug auf "Wenn du mich sehen könntest" mit ruhigen Gewissen bejahen. 

Die Charaktere sind recht verschieden, aber sympathisch in jedem Fall! Lexi ist so eine Frohnatur, zumindest auf dem ersten Blick. Es ist, wie Nate es treffend feststellt: sie sieht die kleinen Dinge der Welt, die Farben in purer Schönheit. Zu ihr fällt mir mein liebster Spruch ein, der über die Jahre zu meinem persönlichen Motto wurde: "Ich sehe die Welt. Nur nicht so, wie du sie siehst.". Doch wird auch hier dem Leser bewusst, was hinter ihrer Fassade steckt. Sie verstellt sich nicht, denke ich zumindest, aber sie versteckt sich hinter sich selbst. Sie verlangt von anderen Menschen wie ein normaler Mensch behandelt zu werden, doch zerfließt selbst in Selbstmitleid - eine ihrer größten Schwächen. Und genau das ist es, was den Roman so authentisch für mich macht: die Schwächen eines jeden einzelnen Charakters. Nate wirkt seriös und stark, aber auch gebrochen. Seine Bürde durchzieht das gesamte Buch wie ein roter Faden, die Verarbeitung der Geschehnisse, die Auseinandersetzung mit seiner Vergangenheit. Es ist ein anschaulicher Prozess, den er durchlebt und für mich vollkommen nachvollziehbar.

Die Liebesgeschichte zwischen Beiden ist... tja. Wie beschreibe ich es treffend? Süß. Stark. Verwirrend. Beide Protagonisten schwören sich, nicht mehr als Freundschaft einzugehen und daran halten sie sich. Es kribbelte an manchen Stellen in den Fingern, weil man am liebsten beide Köpfe mit Schwung zusammendrücken wollte. Natürlich auf ganz zärtliche Weise... hust. Dennoch war es sehr gut. Freundschaft stand im Vordergrund, wenn auch im Hintergrund das Herz den Verstand schon längst ausgeschaltet hatte. Aber das, was sich beide aufgebaut haben ist tausend Mal besser, als eine Knall-auf-Fall-Geschichte mit wilden Knutschereien. Vertrauen stand immer an erster Stelle und Ehrlichkeit - ein Punkt, der mir außerordentlich gut gefiel. Lexi verlangte von Beginn an absolute Ehrlichkeit - und Nate gab ihr genau das. Es war so erfrischend, dass er nichts zurückhielt, egal ob Lexi es hören wollte oder nicht. So musste man sich als Leser nicht das imaginäre Brett an den Kopf schlagen, weil man innerlich den Protagonisten am liebsten Schütteln wollte, damit er seine Gedanken endlich offen darlegt. Ich mochte es sehr.

Alles in allem ein wirklich schönes Buch von Miss Winter. Ich mag ihre Geschichten und bin mir sicher, dass ich auch ihre zukünftigen Bücher verschlingen werde. Einen Fan mehr hat sie auf jeden Fall!


WERTUNG
5 von 5 Punkten

 
Wenn du mich sehen könntest | Jessica Winter | 21.05.2016 | Kindle



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