Rezension: Mein geheimes Tagebuch






Am 22. März 1943 dringen „Judenjäger“ in das Amsterdamer Haus von Klaartje de Zwarte-Walvisch ein. Während sie auf ihren Mann warten, vertreibt sich einer von ihnen mit Klavierspiel die Zeit. Die Hölle beginnt langsam. Die Registrierung erweist sich als Internierung, und der neue Wohnort ist in Wirklichkeit ein Konzentrationslager. Das erst vor wenigen Jahren entdeckte Tagebuch der jungen Jüdin Klaartje de Zwarte-Walvisch ist in mehrfacher Hinsicht ein Wunder: Sie kann fast täglich protokollieren, was sie erlebt, ohne entdeckt zu werden. Kurz bevor sie den Zug in ein Vernichtungslager besteigt, übergibt sie das Tagebuch heimlich einem Verwandten, dem gegen alle Wahrscheinlichkeit die Flucht gelingt. Mehr als sechzig Jahre nach Kriegsende werden die Hefte in seinem Nachlass entdeckt. Ein Wunder sind die Aufzeichnungen aber vor allem, weil es kein zweites Zeugnis gibt, das so furchtlos und unbefangen, so wütend und fassungslos und zugleich mit so viel Witz und Ironie schildert, welches Schicksal die niederländischen Juden zu erleiden hatten.

 


 

Klaartje de Zwarte-Walvisch

Klaartje de Walvisch, geboren 1911, arbeitete in Amsterdam als Näherin und heiratete 1934 den Lagerarbeiter Joseph de Zwarte. Im März 1943 wurden beide in das Konzentrationslager Herzogenbusch (Kamp Vught) deportiert. Am 16. Juli 1943 wurde sie in Sobibór ermordet. In ihren Notizbüchern hinterließ sie das Zeugnis ihrer Inhaftierung mit detaillierten Schilderungen ihres Alltags und den grausamen Taten, denen sie und tausende andere Menschen ausgeliefert waren.





Mich hat Geschichte schon immer von klein auf interessiert. Meine Mama war Geschichtslehrerin, sodass ich bereits in sehr jungen Jahren die Geschichtsbücher und historischen Zeugnisse durchforstet habe. Besonders die Zeit des Nationalsozialismus hat sich fest in meinem Interesse verankert, da ich einfach nicht begreifen kann, wie Menschen anderen Menschen so etwas grausiges antun konnten. Deswegen musste ich beim Kauf von "Mein geheimes Tagebuch" auch gar nicht lange überlegen, bis es in meinen Besitz wanderte.

Erzählt wird die Geschichte einer jungen Frau jüdischer Herkunft, die vom Tag ihrer Deportation bis zu den letzten Lebenstagen berichtet. Dabei handelt es sich um autobiografische Notizeinträge, in welchen sie ihren Alltag innerhalb des "Kamp Vught" (KZ Herzogenbusch) niederschreibt. Die Eintrage finden fast aller 2 Tage statt und sind mit viel Ironie und Sarkasmus gespikt, was ich in Anbetracht ihrer Lage sehr bewundernswert finde. Die Aufzeichnungen von Klaartje de Zwarte-Walvisch beginnen da, wo das "Tagebuch der Anne Frank" endet - im Lager.

"Babys schmolzen weg wie Schnee in der Sonne. Für Kinder unter zwei Jahren war Überleben unmöglich." (S. 48, Z. 2-4)

Ich konnte das Buch nicht in einem Zug durchlesen, weil mir an manchen Stellen ganz flau im Magen wurde. Die Einträge beschreiben das schändliche Verhalten der "Helden" (wie sie die Kommandeure des Lagers ironisch betitelte), wie sie die Inhaftierten verprügelten, quälten und entwürdigten. De Zwarte-Walvisch ist eine mutige Frau, schon allein, weil sie diese Notizhefte verfasste, denn das war nicht gestattet. Sie berichtet von grausamen Taten, aber auch von Momenten der Hoffnung und des Glücks - nur verschiebt sich die Wahrnehmung von Glück hierbei gewaltig. Wenn ich hier von Glück rede, dann meine ich das Glück, dass sie mal länger als 4 Stunden schlafen konnte. Oder das Glück, dass ihr Mithäftlinge heimlich Haferbrei gaben, weil sie das sonst so trockene Brot aufgrund ihrer Speiseröhrenkrämpfe nicht essen konnte. Oder auch das Glück, manchmal den Alltag zu vergessen, wenn mitinhaftierte Sänger und Schauspieler ihr Talent zur Schau stellten. Es sind kleine Funken des Glücks, die für die Inhaftierten alles bedeuteten.

"Gott gebe, dass ihr aus dieser Lage erlöst werdet. Diese Aufzeichnungen haben mich so sehr getroffen. Ich habe das Leid von euch jüdischen Frauen bis ins Letzte nachvollziehen können; Sie haben es auf sehr sensible Weise wiedergegeben. Irgendwann werden wir all dieses Elend hinter uns lassen, und dann hoffe ich, dass ihr das große Leid vergessen werdet, das man hier erfährt und das uns und euch unnötigerweise zugefügt wird. Vergessen Sie nicht, dass wir Arier auch schwer für unsere Taten büßen müssen, denn viele von uns sind wegen Judenbegünstigung hier."
(Mithäftling zu de Zwarte-Walvisch, nachdem er ihre Aufzeichnungen gelesen hat, S. 144, Z. 16-25)

Dieses Zitat hat mich sehr bewegt, denn mir ist aufgefallen, dass ich selber beim Gedanken an den Holocaust hauptsächlich Judenverfolgung assoziiere, aber selten an diejenigen denke, die dabei ebenso viel Leid ertragen mussten. Die Menschen sollten sich immer in Erinnerung rufen, was mit der Menschheit vor bald 80 Jahren geschehen ist. Beinahe hätten wir unsere Menschlichkeit verloren. Lest es. Kauft es und lest es. Ich kann es einfach nur empfehlen!


 
5/5


 


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